Im Juni 1963 kam der amerikanische Präsident John F. Kennedy
zu seinem ersten und einzigen Staatsbesuch in die Bundesrepublik
Deutschland. Zum Abschluss seiner dreitägigen Reise besuchte Kennedy als
erster amtierender US-Präsident seit Harry S. Truman am 26. Juni 1963
den Westteil der damals geteilten Stadt Berlin. Vor dem Berliner Rathaus
in Schöneberg betonte er mit den legendären Worten "Ich bin ein
Berliner" seinen Kampf für die Freiheit der Stadt und lobte den
Freiheitswillen der Berliner.
Angesichts der durch den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag
angespannten Atmosphäre in den deutsch-amerikanischen Beziehungen und
dem nach der Kuba-Krise gerade erst beruhigten Verhältnis zur
Sowjetunion, begannen Anfang 1963 in Washington die Diskussionen
darüber, ob Kennedy eine Einladung in die Bundesrepublik annehmen und
welche Städte er besuchen sollte. Besonders die Frage, ob auch Berlin
eine der Stationen der Reise sein sollte, war unter den Beratern und in
der amerikanischen Presse umstritten. Ein Besuch in der geteilten Stadt
wäre von hoher politischer Brisanz, und es wäre der erste eines
amtierenden US-Präsidenten seit der Potsdamer Konferenz 1945.
Als wenige Wochen später die Entscheidung für Berlin fiel, war dies der
Startschuss für ein langwieriges Feilschen darüber, wen Kennedy treffen
würde, wie die Fahrtroute durch die Stadt aussehen sollte und wer mit
ihm im Auto sitzen durfte. Bundeskanzler Konrad Adenauer erhoffte sich
ebenso wie Berlins regierender Bürgermeister Willy Brandt
politischen Nutzen von einer besonderen Nähe zu Kennedy. Die Amerikaner
waren umgekehrt erpicht darauf, dass der am 23. Juni 1963 beginnende Deutschland-Besuch
Kennedys sowohl den Jubel für Charles de Gaulle im September 1962 als
auch den Empfang von Vizepräsident Lyndon B. Johnson (1908-1973) und dem
"Vater der Luftbrücke" Lucius D. Clay in Berlin kurz nach dem Mauerbau 1961 übertrumpfte.
Bereits die ersten Tage in Köln, Bonn, Frankfurt und anderen Städten
kamen einem Triumphzug gleich. Doch der mit Spannung erwartete Besuch
West-Berlins am 26. Juni stellte alles in den Schatten. Die Amerikaner
hatten bei der Auswahl der Fahrtroute und der Haltepunkte darauf
geachtet, dass der Präsident von möglichst vielen Menschen gesehen
werden konnte. Im Gegenzug ließen die Berliner Schulen den Unterricht
ausfallen, und die Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst sowie viele andere
Arbeitnehmer durften für einige Stunden ihren Arbeitsplatz verlassen.
Insgesamt über eine Million Menschen jubelten dem Mann zu, von dem sie
sich nach dem Mauerbau 1961 noch so im Stich gelassen gefühlt hatten.
Nun zog sie das Charisma dieses jungen dynamischen Präsidenten an. Fast
jeder zweite West-Berliner behauptete später, Kennedy persönlich gesehen
zu haben. Alle anderen konnten den kompletten Besuch im Fernsehen
verfolgen. Es war die erste gemeinsame Live-Übertragung von ARD und dem
erst wenige Monate zuvor gegründeten ZDF. Als einziger Rundfunksender
durfte der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) einen
Übertragungswagen im Konvoi mitfahren lassen und live berichten. Der auf
der 50 Kilometer langen Fahrt durch West-Berlin neben ihm platzierte
Brandt, ebenso jung und modern, erschien fast wie ein deutscher Kennedy,
wohingegen der als dritter in der Limousine platzierte Adenauer steif
und starr wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten wirkte.
Um 9:40 Uhr war Kennedy am Flughafen Tegel angekommen. Die Fahrt führte
in offener Limousine durch die Neubauviertel im Nordwesten der Stadt,
über den Kurfürstendamm und die Gedächtniskirche zum Brandenburger Tor.
Der Blick in den Ostteil der Stadt blieb Kennedy verwehrt, denn auf
Beschluss des Politbüros der SED
hatte die DDR Gegenmaßnahmen ergriffen: Einen Tag zuvor war das
Brandenburger Tor mit großen roten Vorhängen und der Flagge der DDR
verhängt worden. Zusätzlich "begrüßte" die DDR den amerikanischen
Präsidenten mit einem großen Schild, auf dem die Vereinigten Staaten von
Amerika in englischer Sprache an die Zusagen von Jalta und Potsdam
erinnert und der westdeutsche Militarismus und "Nazismus" angeprangert
wurden. Zudem wurde am 27. Juni 1963 der Versuch gestartet, den Besuch
des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita S. Chruschtschow ebenso triumphal in Szene zu setzen.
Dies alles mag Kennedy bewogen haben, bei seiner anschließenden Rede
vor dem Schöneberger Rathaus von seinem vorbereiteten Manuskript
abzuweichen. Wie geplant betonte er, dass die tapferen Berliner
stellvertretend für alle freiheitsliebenden Menschen und damit im Kern
für "Amerika" stünden. Freie Menschen seien überall auf der Welt Bürger
Berlins und "deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu
können: Ich bin ein Berliner". Diesen Satz hatte er sich mit
Aussprachehilfen auf einer Karteikarte notiert. Aber im Hauptteil seiner
Rede brachen die Emotionen mit ihm durch und entgegen der vor der
Berlin-Reise betonten Entspannungspolitik rechnete er nun mit dem
kommunistischen System ab. Er bezeichnete die Mauer als "abscheulichste
und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen
Systems." Einer möglichen Zusammenarbeit mit den kommunistischen Ländern
erteilte er eine Absage. Wer anderes behaupte, solle sich mit eigenen
Augen überzeugen, dass dies nicht funktionieren könne. "Lasst sie nach
Berlin kommen", lautete Kennedys zweiter Satz auf deutsch. Am Nachmittag
des 26. Juni nutzte er seine Rede an der Freien Universität Berlin um
wieder versöhnlichere Töne anzuschlagen: "Woran ich glaube, ist die
Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Großmächte zur Rettung des Menschen
als Gattung, da wir sonst vernichtet werden können."
"Solange wir leben, werden wir niemals wieder einen solchen Tag wie
heute erleben", sagte John F. Kennedy am Abend des 26. Juni 1963 auf dem
Flug von Berlin in die Heimat seiner Vorfahren, Irland. Der Besuch
West-Berlins war für Kennedy zu einem unvergesslichen Ereignis geworden.
Nicht nur, dass er anders als in den USA, wo seine Politik auf immer
weniger Zustimmung stieß, in der Bundesrepublik Deutschland und
West-Berlin fast uneingeschränkt umjubelt wurde. Der Anblick der
Berliner Mauer und der Freiheitswille der Berliner Bürger hatten ihn
sichtlich bewegt.
So traf es die Berliner besonders, als sie von der Ermordung des
Präsidenten am 22. November 1963 erfuhren. Zehntausende versammelten
sich zu einer spontanen Trauerkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg. Der
regierende Bürgermeister Willy Brandt hielt dort eine Traueransprache:
"Die Amerikaner haben ihren Präsidenten verloren. Eine gequälte
Menschheit den Mann verloren, von dem so viele glaubten, er würde uns
entscheidend vorangehen können auf dem Wege zum gerechten Frieden und
zum besseren Leben in dieser Welt. Aber gerade wir Berliner trauern,
weil wir unseren besten Freund verloren haben." Schon drei Tage nach
seinem Tod wurde der Platz vor dem Schöneberger Rathaus, wo Kennedy
seine berühmten Worte gesprochen hatte, in John-F.-Kennedy-Platz
umbenannt. Zum Jahrestag der Rede am 26. Juni 1964 enthüllte Kennedys
Bruder Robert (1925-1968) neben dem Haupteingang des Rathauses eine
Gedenktafel mit dem Reliefbildnis des Präsidenten und einem Zitat aus
dessen Appell an die Völker vom 25. September 1961: "Miteinander werden
wir unsere Erde retten oder miteinander in den Flammen ihres Brandes
umkommen. Aber retten können und müssen wir sie, und damit werden wir
uns den ewigen Dank der Menschheit verdienen und als Friedensstifter den
ewigen Segen Gottes."